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November 2001 Adorf und Kafka im Knast Mario Adorf beginnt ungewöhnliche Lesetour an ungewöhnlichen Orten Kafka - entweder man hasst ihn oder man liebt ihn. Dazwischen gibt es für die meisten nicht allzu viel. Für die einen waren seine Texte im Deutschunterricht ein zu absolvierendes Übel, für die anderen das reinste Vergnügen. Der Prager Autor Franz Kafka (1883 - 1924) gilt allgemeinhin als "dunkel, deprimierend und tragisch". "Das muss anders werden", dachte sich die Kafka-Forschungsstelle Wuppertal und holte sich den S. Fischer Verlag und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) mit ins Boot, um eine einjährige Lesereihe zu starten, in deren Verlauf prominente Schauspieler an ungewöhnlichen Orten aus dem Werk Kafkas lesen werden, um den Prager Literaten aus der Versenkung zu befreien und seine humorvollen und komischen Seiten ins Bewusstsein seiner alten und hoffentlich neuen Leser zu befördern. Für die Auftaktveranstaltung am Sonntagabend in Frankfurt haben die Veranstalter - passend zum Text "In der Strafkolonie" - die Justizvollzugsanstalt IV gewählt und sich dazu gleich einen der privilegiertesten "Vorleser" und versiertesten Schauspieler (und selbst Autor) Deutschlands geholt: Mario Adorf. Und wer hätte es schon gewagt, ihn an der Gefängnispforte kontrollieren zu wollen? Selbst bei den geladenen Gästen genügte in diesem Fall eine simple Passkontrolle. Ein karger, nicht allzu großer Raum, weiß getünchte Wände, keine Gitterstäbe ringsum. Nicht die übliche Knast-Atmosphäre, die man aus Film und Fernsehen im Kopf hat. Auch der Gefängnisdirektor Werner Päckert hat so gar nichts mit dem unmenschlichen Kommandanten aus der kafkaesken Erzählung gemeinsam. Im Gegenteil: Er erzählt gut gelaunt vom Ansturm auf die 30 Karten, die den Insassen vorbehalten waren und die zunächst nicht glauben wollten, dass Adorf wirklich bei ihnen lesen würde. Dann ist es soweit. Mario Adorf, ganz in Schwarz, betritt den Raum, setzt sich an den Tisch, schlägt das Buch auf. Absolute Stille. Wäre in diesem Moment ein Blatt Papier zu Boden gefallen, man hätte es einer ohrenbetäubenden Detonation gleichsetzen können. Er beginnt zu lesen - von dem mittlerweile verstorbenen sadistischen Kommandanten, der eine Folter- und Tötungsmaschine entwickelt hat, die dem Verurteilten während der Hinrichtung auch noch den ihm nicht bekannten Urteilsspruch in die Haut ritzt. Der zuständige Offizier ist nach wie vor ganz verzückt von dieser "Egge", während der neue Kommandant ein Gegner des Ganzen ist. Ein Reisender kommt vorbei und der Offizier versucht, ihn für diese Art der Hinrichtung zu begeistern. Doch der Reisende kann sich - genauso wenig wie der neue Kommandant - damit identifizieren. Und so lässt der Offizier den bereits Verurteilten frei und legt sich selbst unter die Egge. Mario Adorf erfüllt seine Aufgabe bravourös. Kafka hat mit ihm ein ideales Sprachrohr gefunden; einen Mann, dessen sonorer und eindringlicher Stimme man fasziniert lauscht, die einen zuweilen fast das Vorgelesene überhören lässt, so nachhaltig und eindringlich vermag er sich in die Protagonisten der Erzählung hineinzuversetzen - und nicht ohne an einigen Stellen Gänsehaut und Entsetzen bei den Zuhörern auftreten zu lassen. Nach 35 Seiten und 75 Minuten ist Schluss. Leider. Sich Kafka von Adorf vorlesen zu lassen, ist ein Genuss par excellance. So hat denn auch diese Auftaktveranstaltung ihr beabsichtigtes Ziel nicht verfehlt. Denn den Veranstaltern geht es vor allem darum, Kafka aus der "dunklen, düsteren" Schublade herauszuholen, zu zeigen, dass seine vielschichtigen Texte eben auch humorvolle und komische Seiten enthalten. Und sie sind der Meinung, dass die Erzählungen Kafkas noch eine stärkere Wirkung entfalten, wenn sie vorgelesen werden. Zumindest bei dieser Lesung haben sie damit hundertprozentig Recht behalten. Man darf also gespannt sein, wie es weitergeht. Wie der Organisator Christian Watty berichtet, gibt es für weitere Lesungen aus dem Werk Kafkas bereits Zusagen von Ben Becker, Mechthild Grossmann, den Geschwistern Pfister und Irm Herrmann. Sogar Dirk Bach soll lesen - den "Hungerkünstler" - und das im Frankfurter Maggi-Kochstudio. Angefragt sind auch Moritz Bleibtreu und Katharina Thalbach. (Evelyn Schaust-Weber) Bitte besuchen Sie für weitere Informationen direkt http://www.all-around-new-books.de/specials/kafka_adorf.shtml http://www.all-around-new-books.de/start/start.shtml |
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