Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.02.2002, Nr. 48, S. 64

Wenn die Speise schmeckt
Dirk Bach liest im "Maggi Kochstudio" Kafkas "Hungerkünstler"

"Signierte Suppentüten sind das Größte", findet Dirk Bach und unterschreibt auch bereitwilligst einen Schwung davon. Wer einen Kafkatext erwirbt, soll die signierte Suppe dann dazu erhalten. Die Autogramme sind ein kleiner Tribut an den Frankfurter "Maggi Kochstudio Treff", in dem die jüngste Veranstaltung der Reihe "Kafka erlesen" nun stattfand.

Unterstützt vom S. Fischer Verlag, dem Internetportal wissen.de und dieser Zeitung veranstalten Hans-Gerd Koch und Christian Watty von der Kafka-Forschungsstelle an der Bergischen Universität Wuppertal seit Oktober 2001 eine Lesetour mit Kafka-Texten durch Deutschland. "Besondere, ungewöhnliche Orte", so Koch, dienten dabei als Kulisse; der Vorleser solle eine Korrespondenz zwischen Ort und Text herstellen. Mario Adorf hatte die Reihe mit einer Lesung von "In der Strafkolonie" in der Justizvollzugsanstalt Preungesheim eröffnet. Wann die nächste Lesung im Rhein-Main-Gebiet stattfinden wird, steht noch nicht fest.

Nun hatte Dirk Bach, eher als Fernsehkomiker denn als ernsthafter Schauspieler oder gar Kafka-Interpret dem breiten Publikum vertraut, die Brücke zu schlagen zwischen Tütensuppen und dem subtilen Text über eine ausgestorbene Berufsgattung: Die des "Hungerkünstlers". Einfühlsam und mit sanfter Ironie las er Kafkas kuriose Geschichte von einem, der täglich von Hunderten Menschen begafft wird und am meisten darunter leidet, daß man ihm nicht glaubt, er könne das Hungern zur Perfektion treiben.

Kafka hätte sicher nicht nur der Kontrast der "location" gefallen, hat er den Text doch nach einer seiner zahlreichen Mastkuren geschrieben, denen er sich wegen seiner Tuberkulose häufig unterziehen mußte. Der rundliche Dirk Bach machte seine Sache gut, auch als Stimmchen des ersterbenden Hungerkünstlers, dem er auf das Reizendste ein letztes Mal Leben einhauchte, damit der Zuhörer endlich erfährt, warum der Hungerkünstler so gerne und leicht gehungert hat: "Weil ich nicht die Speise finden konnte, die mir schmeckt. Hätte ich sie gefunden, glaube mir, ich hätte kein Aufsehen gemacht und mich vollgegessen wie du und alle."

EVA-MARIA MAGEL

25. Februar 2002
Dirk Bach las
"Ein Hungerkünstler"
18.30 Uhr "MAGGI Kochstudio Treff"
Frankfurt am Main

 

 

 

 

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dpa (Sandra Trauner), 26.2.2002

Veranstaltung im Kochstudio
Dirk Bach liest Kafkas "Hungerküstler"

Frankfurt/Wuppertal (rpo). Comedy-Star Dirk Bach, selbst eher wohlbeleibt, gab am Montagabend den Asketen: Im Maggi-Kochstudio in Frankfurt las er Franz Kafkas Erzählung "Der Hungerkünstler".
Ausgedacht haben sich die Kafka-Lesereihe zwei Wuppertaler Literaturwissenschaftler, Hans-Gerd Koch und Christian Watty. Hauptberuflich arbeiten sie an der Kritischen Kafka-Ausgabe, in ihrer Freizeit geben sie prominenten Schauspielern Kafka-Texte in die Hand und platzieren sie damit seit Oktober letzten Jahres in ungewöhnlichen Umgebungen: Mario Adorf trug in einem Frankfurter Gefängnis Teile der "Strafkolonie" vor, Hanna Schygulla las im Hamburger Tierpark den Affen aus dem "Bericht für eine Akademie", Katharina Thalbach rezitierte im Berliner Kammergericht Teile des "Proceß". Bereits gebucht sind Ben Becker und David Bennent.

Am Montag also Dirk Bach als "Hungerkünstler" im Kochstudio. Eine Kombination, die, wie Mitveranstalter Hans-Gerd Koch zugibt, "nicht frei von Paradoxien ist, die Kafka sicher gefallen hätten". Bach (38) liest: Über den Papieren das kugelrunde Gesicht halslos auf den Schultern, darunter der immense Bauch zwischen T-Shirt und Jeans, schildert er das Hungern als Kunst, als inneren Zwang, als Lebensaufgabe. In Kafkas Erzählung fastet sich der Hungerkünstler ohne Publikum in den glücklichen Tod. Im Kochstudio signiert Bach Suppentüten für Fans und spendet sein Honorar für die Frankfurter Tafel, eine Obdachlosen-Hilfsorganisation.

Kafka schrieb die Erzählung 1922, nachdem sich der untergewichtige Autor wieder einmal durch eine Mastkur gequält hatte. Koch und Watty wollen mit der Reihe genau das Gegenteil dessen erreichen, was normalerweise vom Lesen erwartet wird: "Wir wollen den Leuten ihre Fantasien nehmen", sagt Watty. In den Köpfen vieler Nicht-Leser spuke Kafka als ein düsterer, deprimierter Mensch herum, der mit eingezogenem Kopf im Regen durch Prag schleiche, mit seinem Vater hadere und dessen Texte kein Mensch verstehe. Durch die ungewöhnliche Kombinationen von Text, Ort und Vorleser wollen Koch und Watty Kafkas negatives Image knacken.

So blickt der Autor auch auf der Internet-Homepage der Reihe, "www.kafkaerlesen.de", lächelnd und schelmisch unter einem Strohhut hervor und blinzelt mit einem Auge. Dort wird als Ergänzung zu "Kafka: erLesen!" bereits "Kafka: erHören!" angekündigt. Geplant sind bislang zwei Schuber mit je vier CDs, auf denen die Schauspieler der Lesereihe mit den von ihren ausgewählten Texten verewigt sind. Die Lesungen sind im Studio aufgenommen und nicht live mitgeschnitten.

Auch Bach will den "Hungerkünstler" einspielen. Auf dem Fernsehbildschirm ist er zur Zeit nicht zu sehen. Seine Solo-Show "Studio Bach" hat das ZDF nach nur einer Folge aus dem Programm genommen. "Wir arbeiten zusammen mit Herrn Bach an einer neuen Sitcom, die wieder mehr in Richtung "Lukas" gehen soll", heißt es aus Mainz. "Lukas", eine Sitcom über einen allein erziehenden Vater, lief im ZDF jahrelang mit großem Erfolg.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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nrz (NEUE RUHR/RHEIN ZEITUNG), 3. März 2002

Kafka ist gar nicht kafkaesk

Von Jens Dirksen

Joseph K. hält seine Verhaftungn zunächst für einen "groben Spaß", den ihm "die Kollegen in der Bank veranstaltet hatten". Und er beschließt, in dieser "Komödie" mitzuspielen - Kafka ist nicht merkwürdig, Kafka ist komisch. Als er vor Freunden einmal seine Novelle "Die Verwandlung" vorlas, geriet Kafka so sehr ins Lachen, dass er gar nicht mehr weiter lesen konnte...

Schon vor 20 Jahren förderte Eckhard Henscheid mit den mahnenden Worten "Roßmann, Roßmann" nicht nur das komische, sondern auch das erotische Potential des umraunten Dichters zutage. Denn es ist ja nicht so gewesen, dass Kafka Tag für Tag hohlwangig und großäugig durch Prag an seinen Versicherungsschreibtisch schlich und wieder zurück. Erstens hatte Kafka im Büro einen ziemlich lauen Job und zweitens lautete seine Devise: "Des Tags im Geschäft, des Nachts auf den Gassen".

In diesem Sinne lassen nun Hans-Gerd Koch und Christian Watty , zwei Mitarbeiter der Kritischen Kafka-Ausgabe, die an der Universität Wuppertal erstellt wird, eine Kafka-Lese der anderen Art halten. Und die zeigt: Kafka ist gar nicht unheimlich unverständlich, er ist nicht einmal kafkaesk. "Kafka war doch Realist", musste schon der marxistische Literaturtheoretiker Georg Lukàcs erkennen, der über Kafkas "Schloss"-Roman als bürgerlichen Alptraum gespottet hatte - bis er mit Stalins Schergen Bekanntschaft machte.

Kafka war Realist, Kafka war Komiker. Und er bekannte: "Ich lese nämlich höllisch gerne vor". Dem trägt auch das Rezept der fortgesetzten Kafka-Lesereihe Rechnung: Ein Promi erweckt einen bekannten Kafka-Text an einem Ort zum Lesen, an dem normalerweise nicht Kafka gelesen wird. Also liest Mario Adorf im Gefängnis aus der "Strafkolonie", und die Erzählung, die als horrorträchtige Vorwegnahme von Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts galt, hat auf einmal wieder realistische Seiten. Aber wenn Hanna Schygulla im Zoo den Affen den "Bericht für eine Akademie" aus der Feder eines Affen vorträgt, wird's schon recht komisch. Erst recht, wenn der durch seine körpereigenen Rundungen ausgewiesene Hunger-Bekämpfer Dirk Bach im Maggi-Kochstudio ein literarisches Gaumenstück wie die Erzählung "Ein Hungerkünstler" zum ohralen Genuss macht. Bach hat sein Honorar übrigens nicht in weiteres Lesefutter investiert, sondern der "Frankfurter Tafel" gespendet, die Obdachlose versorgt. Geplant sind auch schon Lesungen mit Erika Pluhar, Ben Becker und David Bennent. (Termine: www.kafkaerlesen.de)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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