Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Juni 2003

"Sie gefällt mir zum Seufzen"
Ralf Bauer liest im Frankfurter Museum für Kommunikation aus Kafkas Briefen an Felice

Um es gleich zu sagen: Ralf Bauer ist nicht der Enkel von Felice Bauer. Wäre er es, hätte er ihr wohl noch postum auf die Schulter geklopft, weil sie doch diesen merkwürdigen Franz Kafka nicht geheiratet hat. Ein intimes Dokument schmerzvoller Selbstreflexion , unüberwindlicher Distanz und beispielloser Selbstentblößung sind Kafkas Briefe an Felice, die er in den fünf Jahren ihrer Beziehung an seine zweimalige Verlobte geschickt hat.
Die unmögliche Liebe muß zerbrechen, aber der smarte Schauspieler macht sie wieder süß und erträglich: Rosarote Gummiherzen machen an diesem Abend der bundesweiten Lesereise "Kafka: erLesen!" die Runde, bedrohlich fragile Gabelspiele symbolisieren das schwierige Gleichgewicht in der Liebe, der Rauch von Räucherstäbchen kriecht durch das Museum für Kommunikation. Das Publikum ist nun bereit für den ersten Brief, datiert auf den 20. September 1912: "Sie können es wohl mit mir versuchen", empfiehlt sich der Versicherungsangestellte Kafka dem Fräulein Bauer, sechs Wochen nach der ersten Begegnung mit ihr im Prager Haus seines Freundes Max Brod. Zwischen Liebesbezeugungen, Anklagen, Annäherung und Abstoßung bewegen sich die folgenden Briefe. "Sie gefällt mir zum Seufzen", heißt es im Dezember, "mein Leben ließe ich für dich, aber das Quälen kann ich nicht lassen." Immerhin 200 Briefe sind zwischen Prag und Berlin gewechselt, als sich das Paar zum ersten Mal wiedersieht. Im Juni des Jahres 1913 erfolgt die Verlobung, eine Woche später wird sie wieder gelöst.
Der zweite Antrag, drei Jahre später, ist nur noch der Hilferuf des Einsamkeit Fürchtenden, der mit unbarmherziger Selbstkritik zugleich eine Absage provoziert. Bald darauf leidet der Dichter schon an Tuberkulose - für ihn mehr als eine Krankheit, ein "Bankrott" im Kampf des guten Selbst gegen das böse. "Irre" findet Ralf Bauer das hier und da, schier unglaublich, daß sich das Paar erst vier Jahre nach dem ersten Treffen körperlich zusammentut. Dennoch: 1919 heiratet Felice einen Bankier, Kafka stirbt 1924 in den Armen von Dora Diamant. "Ein bissl positiv" würde der Mime aber doch gern aufhören und zieht einen Brief vom Januar 1913 hervor, in dem Kafka von seinem unbändigen, maßlosen Lachen während eines offiziellen Anlasses schreibt. Ralf Bauer lacht mit, sichtlich erleichtert von der Last der Kafkaschen Gebrechen, Zaudereien und Nervositäten. Als dann sein Stuhl nach hinten kippt und er sich athletisch flink nach oben schwingt, ist Kafkas Blutsturz längst weit weg.
Sympathischer ist Kafka selten präsentiert worden, wer aber eine Vorstellung von der Einsamkeit des Dichters gewinnen wollte, der Kafka in seinen Briefen fern von jedem Klischee soviel Bedeutung verliehen hat, besah sich dann besser noch in aller Stille den Originalbrief aus der Korrespondenz, der derzeit die Ausstellung "liebe.komm" im Frankfurter Museum für Kommunikation bereichert.
(Kristina Michaelis)

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6. Juni 2003
Ralf Bauer las
"Briefe an Felice"
Museum für Kommunikation
Schaumainkai 53
60596 Frankfurt am Main












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