Mechthild
Großmann las Franz Kafkas "Der Heizer"
"Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen
armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen
verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam
gewordenen Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die
schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem
plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert
ragte wie neuerdings empor, und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte."
Mit
diesen Zeilen beginnt Franz Kafka Anfang 1912 die Niederschrift eines
Romans, den sein enger Freund Max Brod 1927 postum unter dem Titel "Amerika"
veröffentlichte, für den Kafka in einem später bekannt
gewordenen Brief aber den Titel "Der Verschollene" nennt. Zu
seinen Lebzeiten stimmt Kafka einer Veröffentlichung des Anfangskapitels
zu, das bereits im Mai 1913 unter dem Titel "Der Heizer. Ein Fragment"
im Kurt Wolff Verlag Leipzig erscheint.
Kafka
selbst betont in einem Brief vom 11. April 1913 an seinen Verleger Kurt
Wolff die Verbindung, die zwischen dem "Heizer", der "Verwandlung"
und dem "Urteil" besteht:
"Meinen
besten Dank für Ihren freundlichen Brief, mit den Bedingungen für
die Aufnahme des "Heizers" in den "Jüngsten Tag"
bin ich vollständig und sehr gerne einverstanden. Nur eine Bitte
habe ich, die ich übrigens schon in meinem letzten Briefe ausgesprochen
habe. "Der Heizer", die "Verwandlung" (die 1 1/2 mal
so groß wie der Heizer ist) und das "Urteil" gehören
äußerlich und innerlich zusammen, es besteht zwischen ihnen
eine offenbare und noch mehr eine geheime Verbindung, auf deren Darstellung
durch Zusammenfassung in einem etwa "Die Söhne" betitelten
Buch ich nicht verzichten möchte. Wäre es nun möglich,
daß "der Heizer" abgesehen von der Veröffentlichung
im "Jüngsten Tag" später in einer beliebigen, ganz
in Ihr Gutdünken gestellten, aber absehbaren Zeit mit den andern
zwei Geschichten verbunden in ein eigenes Buch aufgenommen wird und wäre
es möglich eine Formulierung dieses Versprechens in den jetzigen
Vertrag über den "Heizer" aufzunehmen? Mir liegt eben an
der Einheit der drei Geschichten nicht weniger als an der Einheit einer
von ihnen."
Seiner
Geliebten Felice Bauer in Berlin schickt Kafka am 10. Juni 1913 ein Exemplar
des soeben erschienenen Buches:
"Heute
schicke ich Dir den 'Heizer'. Nimm den kleinen Jungen freundlich auf,
setze ihn neben Dich nieder und lob ihn, wie er es sich wünscht"
"Der
Heizer" ist auch der erste Kafka-Text, der ins Tschechische übersetzt
wurde. Im Februar oder März 1920 bittet die Wiener Journalistin Milena
Jesenská Kafka um die Erlaubnis, diese und eine weitere Erzählung
ins Tschechische zu übersetzen. In zwei Briefen im Frühjahr
1920 bekennt er ihr seine große Unzufriedenheit mit dem Fragment
gebliebenen Roman:
"[...]
Aber wie das auch sein mag, jedenfalls ist es eine abgründig schlechte
Geschichte; mit einer Leichtigkeit, wie nichts sonst, könnte ich,
liebe Frau Milena, Ihnen das fast Zeile für Zeile nachweisen, nur
der Widerwille dabei wäre noch ein wenig stärker als der Beweis.
Daß Sie die Geschichte gern haben, gibt ihr natürlich Wert,
trübt mir aber ein wenig das Bild der Welt. Nichts mehr davon. [...]"
"[...]
Alles, was Sie mit den Büchern und Übersetzungen tun werden,
wird richtig sein, schade daß sie mir nicht wertvoller sind, damit
die Übergabe in Ihre Hände das Vertrauen, das ich zu Ihnen habe,
wirklich ausdrückte. Dagegen freue ich mich durch paar Bemerkungen
über den "Heizer", die Sie wünschen, wirklich ein
kleines Opfer bringen zu können; es wird der Vorgeschmack jener Höllenstrafe
sein, die darin besteht, daß man sein Leben nochmals mit der Bitte
der Erkenntnis durchnehmen muß, wobei das Schlimmste nicht die Durchsicht
der offenbaren Untaten ist, sondern jener Taten, die man einstmals für
gut gehalten hat"
Aus
dem so entstandenen Kontakt entwickelt sich ab April 1920 zwischen den
beiden eine intensive Korrespondenz ("Briefe an Milena"), im
selben Monat erscheint in der tschechischen Zeitschrift "Kmen"
(Der Stamm) die Übersetzung des "Heizers".
Die
in Münster geborene Schauspielerin Mechthild Großmann ist international
bekannt durch ihre mitlerweile 25-jährige Zusammenarbeit mit dem
Tanztheater-Ensemble von Pina Bausch in Wuppertal. In Münster hat
sie zuletzt an den Städtischen Bühnen die überregional
beachtete Medea gespielt und ist seit dem letzten Herbst regelmäßig
als Staatsanwältin im TATORT aus Münster in der ARD zu sehen.
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