Westdeutsche
Zeitung, 26. Januar 2002
Scheinwerfer auf das Absurde
Von Kornelia Roßkothen
Wuppertal. Mechthild Großmann las im Club 45 RPM Franz Kafkas "Verwandlung"
und verwandelte dabei die Wirkung des Textes.
Alle kennen Kafka. Ein bisschen. Von früher. Aus der Schule oder
so. Da geht es der Schauspielerin Mechthild Großmann nicht anders,
wie sie sympathischer Weise beim ersten ihrer drei Lese-Abende in Wuppertal
zugab.
Hans-Gerd
Koch und Christian Watty von der Kafka-Forschungsstelle der Bergischen
Universität haben eine Art Promotion-Tour quer durch Deutschland
für "ihren" Autor erdacht: Prominente Schauspieler lesen Kafka, oft
an ungewöhnlichen Orten, die in Beziehung zum Text stehen. Die Idee:
Kafka wird entstaubt, verliert den Klassenzimmer-Geruch und die Aura der
Düsternis, wenn seine Worte vorgelesen werden.
"Die Verwandlung"
ist das Material für die Wuppertaler Lesungen. Der Ort des Geschehens,
der Club 45 RPM, hat schon einige Verwandlungen hinter sich: Hans-Gerd
Koch deutete in seiner Einleitung die früheren Erscheinungsformen
des Kellers als "Kinos verschiedener Art" an.
Vor rotsamtenen
Tapeten saß dann, verschmitzt lächelnd, Mechthild Großmann
und nahm sich freundlich dieses Textes an, der Alpträume verursachen
kann. Mit ihrer tiefen, rauchigen und zugleich sanften Stimme trug sie
in eher nüchternem Tonfall und mit einem winzigen Hauch von Ironie
die langen, gedrechselten Sätze vor, in deren Sachlichkeit Kafka
das nackte Grauen einwickelt.
Was wäre
denn, wenn man morgen als abstoßender, großer Käfer aufwachte?
Wenn man verdammt wäre zu ewiger Einsamkeit? Wenn selbst die Familie,
die liebsten Menschen, einen vor Ekel nicht mehr anschauen könnten
und einem schließlich den Tod wünschten? Das ist der Stoff,
aus dem die Kafka-Alpträume sind, und immer wieder packt Leser und
auch Hörer die Abscheu vor dem Insekt oder das Mitleid mit der armen
Kreatur.
Schon der
Text selbst erhält seine Spannung durch den Kontrast zwischen dem
Entsetzlichen und der Beiläufigkeit, mit der es geschildert wird.
Die Stimme und das Lesen fügen eine weitere Dimension hinzu, die
nicht aufgesetzt wirkt, sondern innerhalb des Werkes ein paar Scheinwerfer
setzt auf das Skurrile, das Absurde, das Komische. Beim Hören wird
vorstellbar, dass Kafka selbst liebend gern vorlas, dass er die Kommata
nicht nach den Regeln, sondern wie Atemzeichen setze. Wer nach der Lesung
zu Hause an den Bücherschrank ging um nach dem Schluss zu schauen,
der ausgespart wurde, hörte vielleicht dabei noch Mechthild Großmanns
wunderbare Stimme.
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